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Bieler Tagblatt vom 29.06.2015 (von Janosch Szabo)

Gute Livemusik gibt es an Braderie und Barbarie reichlich. Doch ein klingender Name ist noch kein Garant für Stimmung. Den Hahn schiessen Samstagnacht im Wechselbad der Gefühle die Berliner Hiphopper Smith & Smart ab.

Die Strassen sind brechend voll von Partyvolk, als Sina und Band Samstagnacht die Hauptbühne der Braderie rocken. Und doch ist es, anders als sonst bei Auftritten von Headlinern, ein Leichtes, sich nach vorne durchzuschlängeln, der Zentralplatz nicht der ultimative Magnet. Sina zieht dessen ungeachtet ihr Ding durch – musikalisch druckvoll, stimmlich prägnant, sprachlich unverwechselbar. Dass sie für einige Konzerte ihrer laufenden Tour Adrian Stern mit an Bord hat, ist eine Bereicherung, gerade bei Liebesliedern wie «Amerika» oder «Wo du bisch». Man nimmt den beiden die gesungene Zuneigung durchaus ab. Das und die zwischendurch auch rockigeren Stücke reichen für herzlichen Applaus, nicht aber für grosse Partystimmung. Sina und ihre Musiker lassen den Tiger ihres neuen Albums «Tiger und Reh» höchstens kurzzeitig aufblitzen. Insgesamt bleibt der Auftritt brav. Bezeichnend dafür der Song «Bonbons» – eine perfekt zur Braderie passende Liebeserklärung an die süssen farbigen Zuckerlutscher.

Die Sau rauslassen
Krasses Gegenstück dazu sind die unweit an der Barbarie auftretenden Niederländer von Peter Pan Speedrock. Die drei Männer – ein bärtiger Holzfällertyp am Bass, eine Rampensau mit alsbald schweissnassen Strähnen an Mikrofon und Gitarre und ein reichlich tätowierter Kraftprotz am Schlagzeug – hauen rein, was das Zeug hält, mal offbeat im Stile ultraschnellen Skas, mal straight in your face. Dass Bassist Bart Geevers, so wie er die Saiten bearbeitet, keinen Krampf in den Fingern bekommt, ist ein Wunder. Und wer als Laie singen würde wie Peter van Elderen, wäre innert Kürze heiser. Doch die wilden Kerle aus Eindhoven können auch anders. Nach einer wuchtigen Zugabe, verursacht durch kollektives Gegröle der vor der Bühne Pogo Tanzenden, geben sie sich äusserst handzahm – verteilen Handshakes, verschenken Drumsticks und bedanken sich artig bei den eingefleischten Fans.

Im Stimmungstief
Dann zurück an die Braderie, wo «My Name is George» in dieser lauen Sommernacht ihre Tournee eröffnen und einen Haufen neuer Lieder dabei haben. Allerdings scheint niemand wirklich dafür hergekommen zu sein. Das Konzert der Winterthurer Indie-Pop-Band beginnt fast ohne Publikum, und auch nach drei Songs ist vor der Bühne noch so viel Platz, dass man eine Partie Federball spielen könnte. Der Soundtrack dazu wäre passend. An dieser Situation ändern auch die bettelnden Aufforderungen von Sänger Albert den Dekker nichts, doch etwas nach vorne zu kommen. Die offensichtlich zu dieser Uhrzeit an diesem Fest unpassend programmierte Band tut einem Leid. Die Songs sind eingängig, der Gesang rein und schön, aber die Darbietung einfach zu statisch.

Hiphop-Party erster Güte
Darum rasch zurück zur Barbarie. Ein guter Entscheid, wie augenblicklich feststeht. Smith & Smart aus Berlin scheinen eisern gewillt, Stimmung zu machen. Das Hiphop-Duo setzt an zu einer mitreissenden Show, die besonders vom fabelhaft agierenden DJ Robert Smith lebt, der an den Plattentellern fraglos in seinem Elemen ist. Wie er mit den Platten hantiert, wie er scratcht, dass einem schier schwindlig wird, wie er piekfein die Übergänge hinkriegt und gleichzeitig das Publikum animiert, ist erste Sahne. Das ganze Set wirkt aus einem Guss, trotz so einiger Freestyle-Einlagen. Denn der Mann, der vorne am Bühnenrand hin und her tigert, Maxwell Smart, hat ein Mundwerk wie der andere Finger. Und wenn er singt «doch ich bin mir sicher, wir passen zusammen», glaubt man ihm das aufs Wort. Die Show lebt insbesondere von der perfekten Harmonie zwischen den beiden, ähnlich der gerade sehr angesagten Lo & Leduc. Smith & Smart sind aber anders – verrückter, lauter, antikapitalistischer. Genau richtig an der Barbarie. Zwar erscheinen sie äusserlich weder als Hiphopper noch als Punks, geben sich aber als beides zu erkennen.

Musikalisch sind sie ebenso offen für fette dumpfe Bässe wie für synthetische sehr tanzbare Technobeats. Aber auch eine Aerobiceinlage zu «don’t worry, be happy» und ein bisschen «rock’n’roll tonight» haben Platz, komplettiert durch Stage Diving und Wodka-Teilete als Auflockerungen der intensiven Show. Dass selbige letztlich vom feiernden Publikum lautstark bis übers zeitliche Limit getrieben wird, verwundert kaum, dass Smith & Smart indes die Sache ohne an Power einzubüssen durchziehen, schon mehr. Ganze zwei Stunden dauert die Sause und endet erst nach dem bezeichnenden «komm schon DJ spiel noch eins» um vier Minuten nach drei Uhr nachts in der zweiten Verlängerung. «Kikerikiii!».